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Im Gespräch mit der Angst

Aktualisiert: 19. Juli 2022


„Mama ich habe Angst“, sagte meine Tochter letzte Woche zu mir – und unser kurzes Gespräch was darauf folgte, war so inspirierend, dass ich heute einen kleinen Eintrag zum Thema Angst verfassen möchte.


Bevor ich von dem Erlebnis mit meiner Tochter erzähle, möchte ich noch folgende einleitende Gedanken voranstellen: Angst ist eine natürliche und dem Leben anhaftende, biologische (Re)Aktion auf Situationen hin, die wir als bedrohlich interpretieren. Dabei kann es sich um tatsächliche oder vorgestellte Situationen handeln. Dass sie in vielen Situationen auch lebenserhaltenden Charakter hat, ist ohne Frage. Sie erfüllt dort den Zweck, uns zu beschützen, uns zu warnen.

Im Alltag aber hat es die Angst oft nicht leicht, als hilfreich oder wertvoll angesehen zu werden – nicht allzu selten fühlen wir uns von ihr kontrolliert, eingeschränkt, gelähmt und blockiert, verfolgt oder der Lebensfreude beraubt*. Und auch wenn schon viele Menschen, die mir begegnet sind, wenigstens die Erfahrung machen konnten, dass Angst keine Schwäche ist, die es zu verstecken gilt, haben sie doch nach wie vor den Eindruck, dass Angst sie schwächt.

Das passiert vor allem dann und in höherem Ausmaß, wenn wir der Angst nicht auf Augenhöhe begegnen können. Was genau meine ich damit? Hier möchte ich die Geschichte mit meiner Tochter zur Erklärung nutzen:


„Mama ich habe Angst“, sagte sie, als sie mit Messer und Zwiebel vor mir stand und mir beim Kochen helfen wollte. Ich sehe, wie sie überlegt, das Messer und die Zwiebel einfach wieder wegzulegen. Die Woche zuvor hatte sie eine Zwiebel geschält und geschnitten und dabei ihren Daumen erwischt. Ich frage sie: „Das ist gut, oder?“, und sie schaut mich etwas zögernd an. „Was will sie dir denn sagen, die Angst?“, ergänze ich. „Dass ich mutig sein soll!“ „Hmmm,“ überlege ich, „ich glaube das ist eher der Mut, der da spricht. Was sagt denn die Angst?“ „Dass ich mich nicht wieder schneiden will, dass ich aufpassen soll.“ „Ok. Was kannst du dafür machen?“ frage ich sie. Die Antwort kommt prompt: „Mich konzentrieren.“ Und dann fing sie an, und schälte die Zwiebel ohne weitere Probleme.


Was genau ist da jetzt passiert? Meine Tochter kam sozusagen mit ihrer Angst ins Gespräch. Sie konnte der Angst begegnen und sehen, welchen Zweck die Angst erfüllt. Vor was werde ich hier gewarnt? Anschließend konnte sie sich überlegen, wie sie das in ihr weiteres Vorgehen mit einbeziehen kann. Und damit wurde aus der Angst eine Vorsicht im Hintergrund.


Angst ist also nicht nur ein Warnsignal, sondern sie hat auch einen Aufforderungscharakter – sie setzt einen Impuls, die Angst zu überwinden, um dadurch ein Stück zu reifen. Es geht darum, sich der Angst zu stellen. Nicht, indem ich einfach darüber hinwegsehe, sie leugne, bagatellisiere oder mit dem Kopf durch die Wand renne, sondern indem ich ihr begegne, sie annehme, genau betrachte, hinhöre und wertschätze. Dann kann ich die wichtigen Hinweise, Warnungen und Handlungsimpulse herauslesen, um anschließend darüber nachzudenken: Was brauche ich, um dem Zweck der Angst nachzukommen. Wie und vor was kann ich mich schützen? Welche Ressourcen brauche ich für mein Vorhaben? Unter welchen Umständen bin ich bereit, diesen Schritt zu wagen?


Die Angst so konstruktiv – also bewusst hilfreich zu nutzen, ist für viele meiner Klienten bisher eine ganz neue Möglichkeit, mit ihr umzugehen bzw. ihr zu begegnen. Und auch mir selbst hilft dieses „Hinhören“ und Begegnen immer mehr, meine Komfortzone zu erweitern, indem ich sie öfter bewusst ein klein wenig verlasse. So ist Angst nichts, was uns unumgänglich und unabwendbar in eine Opferrolle verfallen lassen will, sondern etwas, das uns begleitet, um uns zu schützen und um uns in unserem Wachsen herauszufordern.



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*Es gibt auch pathologische Ausdrucksformen der Angst (Angststörungen, Panikstörungen, Phobien). Bei dieser Art von Angst brauchen Betroffene mehr als nur eine Beratung. Hier helfen Ärzte und Psychologen.

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