„Die Liebe, die ich mir selbst leicht entgegenbringen kann, ist ganz klar an Bedingungen geknüpft. Daran, dass ich etwas gut mache, Erfolg habe, dass ich fröhlich bin, inspiriere, motiviert bin und so weiter. Dass ich Dinge mache, die meine Erwartungen erfüllen oder sogar übertreffen.“ Katja* kam zu mir in die Beratung, weil es einen Teil in ihr gab, der sehr darunter litt, dass ihre Selbstliebe nicht bedingungslos war.
„Es fällt mir schwer, mich selbst zu lieben, wenn es mal schlecht läuft, wenn ich Fehler mache, wenn ich nicht so handle, wie ich mir das von mir wünsche. Es fällt mir schwer mich selbst zu lieben, wenn ich schwach bin und versage.“ Katja kostete es gewaltigen Mut, das so offen anzuschauen. Und dabei ist sie kein Einzelfall. Was aber ist das mit der Selbstliebe eigentlich?
Liebe ist viel mehr als ein wohlig warmes Gefühl.
Sie ist eine Haltung. Es geht um die Antwort auf die Frage: Wie begegne ich jemand anderem, wie begegne ich mir selbst? Und die Antwort bestimmt, ob es Liebe ist, oder nicht. Liebe ist die Haltung, die es dem Leben ermöglicht, sich frei und friedvoll zu entfalten.
Liebe ist zu krass? Versuch's mit Freundschaft
Wem das Wort Liebe auf sich selbst hin zu „drastisch“ erscheint, für wen es sich irgendwie seltsam befremdlich anfühlt, der kann es stattdessen erstmal mit Freundschaft versuchen. Freundschaft mit mir selbst bedeutet zunächst einmal, mir selbst freundlich zu begegnen. Auf der Suche nach einer Definition von „freundlich“ spuckt Google folgendes aus: „im Umgang mit anderen [oder einem selbst] aufmerksam und entgegenkommend“.
Werde dir selbst gerecht: Lass dir nichts entgehen!
Wollen wir mit uns selbst freundlich umgehen, ist ein Weg also, uns Aufmerksamkeit zu schenken. Aufmerksamkeit wiederum bedeutet, darum bemüht zu sein, sich nichts entgehen zu lassen. Warum aber hilft uns das dabei, uns selbst liebevoller zu begegnen?
Ganz einfach darum, weil wir uns selbst damit wesentlich gerechter werden. Um uns nichts von uns selbst entgehen zu lassen, müssen wir den Blick auf uns selbst weiten. Wir müssen uns trennen von Gedanken wie: „Ich bin immer…“, „Ich mache immer…“. Weg von verallgemeinernden Annahmen und Aussagen, die wir über uns selbst angesammelt haben, hin zu einer differenzierten und an der Gegenwart orientierten Aufmerksamkeit. Das eröffnet uns all die Wege, die wir zuschütten, wenn wir über uns selbst urteilen, uns in Schubladen stecken und uns selbst klein halten.
Uns selbst immer wieder neu zu begegnen ist krass, denn: Wir lieben Bekanntes, Strukturen und Muster. Es macht vieles erst einmal einfach. Vieles von den grundlegenden Annahmen über uns selbst ist uns noch nicht einmal bewusst. Da dürfen wir also auf Entdeckungsreise gehen. Es lohnt sich! Denn es gibt einiges zu entdecken! Eine Reise mit kleinen Schritten. Beobachten zu lernen ohne Vorurteile und Verallgemeinerungen geht nicht von heut‘ auf morgen, nur weil es gut klingt! Höchstwahrscheinlich auch nicht von heut‘ auf Übermorgen. WENN es allerdings gut für dich klingt, dann gibt es da etwas in dir, was empfänglich dafür ist, dass du urteilsfrei(er) auf dich blickst. Etwas, das gesehen und entdeckt werden möchte.
Entgegenkommen statt Forderungen stellen
Aufmerksamkeit ist also ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Freundschaft. Neben ihr finden wir in der Definition bei Google noch das Entgegenkommen. Wie verhalten wir uns, wenn wir uns selbst entgegenkommen? Statt in „muss/ sollte/ hätte“ zu denken, können wir überlegen, wie wir uns selbst unterstützen und helfen können. Was brauche ich, damit ich mein Bestes geben kann, was, um mich wohlzufühlen?
Anstelle eines: „Ich muss da durch“ tritt ein: „Was brauche ich, um das zu schaffen?“
Statt: „Ich sollte viel besser sein“ kommt ein: „Ich wünsche mir noch etwas dazuzulernen. Wie schaffe ich das?“
Und anstelle von: „Hätte ich doch dies und jenes getan…“ sagen wir uns: „Fürs nächste Mal möchte ich, dass … Was braucht es, damit das dann auch funktioniert?“
DAS ist hilfreich, weil lösungsorientiert. Mit einem solchen Denken kommen wir uns entgegen und unterstützen uns. Wir entdecken dadurch, wer wir sind und sein können, wenn wir uns wohl fühlen, wenn jemand auf uns blickt und dabei unser Potential sieht, unsere Stärken, unsere Fähigkeiten, und gleichzeitig das, was wir brauchen, was uns (noch) fehlt, um all das auch zu leben.
Liebe als Bedingung für Wachstum
Und hier rutschen wir von der Freundschaft in die Liebe: Vollumfängliches Annehmen. Der Blick auf das, was wir im Moment sind und auf das, was wir brauchen, um uns entfalten zu können. Es geht bei Selbstliebe nicht darum, eine rosarote Brille aufzusetzen. Nicht darum, dass wir Schwächen in Stärken umdenken müssen, dass wir uns alles schön und gut reden an uns selbst, dass wir für alles eine Erklärung finden. Es geht darum, anzunehmen was bereits ist, ohne es zu verurteilen. Sobald wir auf uns blicken und denken: da MUSS sich noch was ändern, lieben wir uns nicht. Das bedeutet NICHT, dass wir nicht wachsen dürfen – denn das ist ein unfassbar wichtiger Punkt in der Selbstliebe. Es geht jedoch darum, das Wachsen und die Veränderung nicht zur Bedingung zu machen! Stattdessen ist Liebe die Bedingung für unser Wachstum!
Wann wir am meisten Liebe brauchen
Diese Nachricht erlebte auch Katja sehr intensiv. In unserer zweiten Sitzung richtete sie sich plötzlich in ihrem Stuhl auf, schaute mich an und atmete einmal tief ein: „Wenn ich das jetzt so betrachte und auch die Situationen versuche, urteilsfrei zu beschreiben, in denen mir das mit der Selbstliebe besonders schwerfällt, dann wird mir klar: Genau dann bräuchte ich sie am meisten, die Selbstliebe. Genau in den Situationen in denen etwas schief geht, in denen ich unzufrieden oder gefrustet bin. Da bräuchte ich diesen ungefärbten Blick und eine unterstützende Haltung auf mich selbst hin. So mache ich mich immer nur fertig. Ich leide doppelt. Und irgendwie ist das dann fast schon so eine Endlosschleife…“ Wir schwiegen danach eine ganze Weile. Es war ein zuversichtliches Schweigen
Lerne dich selbst neu kennen
Ich lade dich also ein: Lerne dich selbst neu kennen und versuche dabei, dir nichts entgehen zu lassen. Dein Blick in schwierigen Situationen auf dich selbst ändert sich von „Was bereits sein sollte“ zu „Was braucht es, damit ich mich entfalten kann“. Immer dann, wenn du so etwas denkst wie „Typisch ich…“, „Immer mache ich…“ „Nie kann ich…“ oder ähnliches, halte inne und geh einen Schritt zurück. Was genau hast du eben getan oder nicht getan, das diesen Urteilen voraus geht? Was könnte eine Kamera bezeugen? Und dann verlasse die schnellen Urteile und betrachte, was wirklich vor sich geht. Aus dieser Klarheit und der wohlwollenden Haltung heraus kannst du dann überlegen, was du in diesem Moment willst, was du brauchst und wie du dir selbst entgegenkommen kannst.
* der Name wurde natürlich abgeändert. Herzlichen Dank an die liebe Person hinter dem Pseudonym für dein Einverständnis :-)
Jap, sowas möchtest du gern öfter lesen? Dann abonniere doch meinen Blog - ich freu mich richtig, wenn du mitliest!
コメント