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Wie Worte verletzen können. Oder eben nicht.

Aktualisiert: 24. Apr. 2022

Auf LinkedIn sah ich vor ein paar Tagen diese eindrückliche Zeichnung von zwei sich gegenüberstehende Menschen. Der eine wirkt sehr aufgebracht und aus dem weit geöffneten Mund schießen Pfeile. Die andere Person steht leicht gebeugt. Einer der Pfeile hat sie direkt ins Herz getroffen. In der Beschreibung des Beitrags von Wolfgang Roth konnte man zudem lesen: „Worte können Pfeile sein. Verwende sie achtsam. Denn den abgeschossenen Pfeil holst Du nicht mehr zurück.“


Die Zeichnung traf auf viel Resonanz. Und auch ich hatte keine Schwierigkeiten einige Situationen vor meinem inneren Auge abzuspielen, in denen ich Zielscheibe eines solchen Pfeils wurde oder aber natürlich auch selbst mit Pfeilen um mich geschossen hatte. Worte anderer Menschen können in uns großen Schmerz auslösen. Undauch wir haben schon einige Male andere Menschen verletzt.


Wer trägt die Verantwortung?

Wenn man die Zeichnung so betrachtet, könnte man meinen, dass die Verantwortung für die Verletzung allein beim „Absender“ liegt. Das ist allerdings nicht die ganz Geschichte: Denn gleichzeitig kennen und schätzen viele bereits die Weisheit, dass die Worte eines anderen Menschen so viel mehr über ihn selbst aussagen als über sein Gegenüber.

Nimm das, was der andere sagt nicht persönlich, und du wirst dir eine Menge Enttäuschung und Verletzung sparen! Das ist die Kernaussage von unzähligen Blogartikeln und Ratgebern.


Ich möchte aus dieser Weisheit etwas Wichtiges ableiten: Welche Aussagen des Gegenübers uns verletzen (ärgern, wütend machen usw.), hat so viel mehr mit uns selbst zu tun als mit unserem Gegenüber. Welcher Pfeil uns trifft bestimmt weniger der/die andere als wir selbst. Ob wir in der Schusslinie stehen, ob wir eine Rüstung tragen, ob an der Einschussstelle schon eine Wunde war – all das hängt hauptsächlich an uns, und so viel weniger am anderen.


Und das ist eine gute Nachricht!


Rüstung, Schusslinie und alte Wunden

Warum? Weil wir mit diesem Bewusstsein den Fokus auf uns setzen können, aktiv werden können, uns eine Rüstung zulegen können. Wir können lernen, aus der ein oder anderen Schusslinie zu treten und für die Heilung alter Wunden zu sorgen.


Ich möchte dir hier außerdem zeigen, dass Vieles, was uns in täglichen Begegnungen mit anderen verärgert, nervt oder verletzt gar nicht so sein muss. Ich möchte dir zeigen, wie du viele Pfeile in Luft auflösen kannst. Denn oftmals verletzen uns die Aussagen anderer Menschen einzig und allein, weil wir das falsche sprachliche „Übersetzungsprogramm“ erlernt haben.

Je länger ich mich mit Kommunikation und Zwischenmenschlichen Begegnungen auseinandersetze, im Besondern mit der gewaltfreien Kommunikation, wird mir eins klar: Unsere Art des Kommunizierens, wie wir es im klassischen Sinne gelernt haben, ist oftmals ein mangelndes Übersetzungssystem dessen, was wir einander WIRKLICH sagen wollen. Und darunter leiden alle Beteiligten!


Welcher Schmerz uns unnötig trifft

Was ich damit meine? Lass es mich erklären:

Wenn meine Tochter mir aus dem Wohnzimmer laut zu ruft (man könnte auch brüllen sagen): „Maaaaamaaaa, komm jetzt ENDLICH!!!!!“, dann habe ich im Sinne dessen, was ich über Kommunikation gelernt habe, bisher geantwortet: "Wenn du mich so anschreist, ist das sehr unfreundlich!". Und damit gebe ich an meine Tochter die Lehre weiter: Wenn jemand so schreit, ist er/sie unfreundlich. Zeitgleich fühlte ich mich mehr oder weniger stark angegriffen von der Art und Weise, wie sie mit mir spricht.

Und das ist der verrückte Punkt: Ich fühlte mich angegriffen von der Art und Weise WIE sie mit mir spricht. Weil ich dieses WIE mit Unfreundlichkeit gleichsetze. Und wenn meine Tochter unfreundlich zu mir ist, verletzt mich das.


Meine Tochter IST de facto aber nicht unfreundlich. Sie ist genervt, gelangweilt, wütend... oder ähnliches. Sie hat vielleicht schon eine Weile auf mich gewartet und möchte mir etwas zeigen, was sie sehr spannend findet. Oder sie möchte, dass ich sofort komme, damit ihre Langeweile ein Ende hat. Ihre Gefühle sind zudem sehr stark in ihr. Und genau das bringt sie zum Ausdruck, in dem sie ihrer Stimme Nachdruck verleiht und laut schreit.

Mich verletzt also nicht der Inhalt ihrer Nachricht, nämlich dass sie wütend ist und Hilfe braucht. Ich bin auch nicht persönlich getriggert. Stattdessen stört mich lediglich die Art und Weise, wie sie mit mir spricht, und zwar ausschließlich, weil ich gelernt habe, dass das eben mal unfreundlich ist. Ist es das aber wirklich, wenn meine Tochter es nicht unfreundlich meint? Und ist das der Punkt? Was ermöglicht mir und ihr diese Haltung?


Jenseits von "freundlich" und "unfreudnlich" liegt auch noch ein Ort der Begegnung

Hier ist viel interessanter, was passiert, wenn ich meiner Tochter etwas anders begegne: "Man, du scheinst mir sehr aufgebracht zu sein, dass du so laut schreien musst. Was ist los?" Dieser Reaktion geht ein etwas anderes Übersetzungsprogramm voraus: Statt den Fokus darauf zu legen, ob sie den mehr oder weniger klaren Gesprächsregeln folgt, bin ich daran interessiert, was wirklich der Kern iher Aussage ist: Damit setze ich in die Tat um, was uns die oben genannte Weisheit lehrt: die Aussage hat etwas mit meiner Tochter zu tun! Sie will mir etwas über sich und ihre Gefühle und Bedürfnisse mitteilen, nicht über mich! Statt das laute Schreien meiner Tochter persönlich auf mich zu beziehen und nach einem Regelcheck als unfreundlich einzustufen, versuche ich den wahren Grund hinter dem Schreien zu sehen.

Die Erleichterung ist meiner Tochter sofort anzusehen: Mama hat mich verstanden – Ja, ich bin wütend, weil… Wir kommen ins Gespräch und zwar in ein Gespräch, das sich um das wahre Problem dreht.


Wenn uns jemand die Hand reicht

Sicherlich kannst auch du dich an das ein oder andere Mal erinnern, an dem du so furchtbar aufgebracht, wütend, verletzt, oder gestresst warst, dass du jemand anderen beschimpft hast, in der Art, dass es dir danach sehr leidgetan hat. „Das wollte ich gar nicht sagen“. Richtig. Das wolltest du nicht. Du wolltest den anderen nicht verletzen oder beschimpfen. Du wolltest gehört werden. Die Gefühle in dir waren so stark, dass sie aus dir ausgebrochen sind. Und weil du es nicht besser gelernt hast, hast du mit Pfeilen um dich geworfen.


Wie groß wäre deine Erleichterung gewesen, wenn dein Gegenüber den Ausbruch NICHT persönlich genommen hätte? Wenn sich die Pfeile in Luft aufgelöst hätten. Wenn dein Gegenüber sich nicht darüber Gedanken gemacht hätte, ob das, wie du dich gerade äußerst nun freundlich oder unfreundlich ist. Sondern wenn er oder sie dich in deinen Gefühlen und mit deinen Bedürfnissen gesehen hätte. Was, wenn dein Gegenüber aus der Schusslinie getreten wäre – Nein, nicht einfach weggegangen, sondern nachgefragt hätte: „Du bist unfassbar wütend. Was genau ist los, was brauchst du?“


Ja, wir wissen, wie es schön wäre. Aber was, wenn es anders läuft?

Und jetzt möchte ich eins klar sagen: Dass wir uns darum bemühen, eine Art und Weise des Kommunizierens zu lernen und zu verwirklichen, die freundlich im Sinne von friedvoll ist, ist unfassbar wichtig. Die Frage ist nur, was wenn der andere es eben nicht hinbekommt, sich feundlich auszudrücken? Ist es dann automatisch vorbei mit dem Frieden. Trägt der-/diejenige die volle Verantwortung dafür, der/die offensichtlich gerade in diesem Moment nicht Herr/Frau der Lage ist?


Wenn wir uns nur an die impliziten als auch explizite Kommunikationsregeln halten, die uns mehr oder weniger klar vorschreiben, was höflich, freundlich, umgänglich ist, und was unfreundlich, gemein und verletzend ist, kommen wir hier nicht weit. Die Verantwortung wird klar dem Sprecher zugeordnet. Die Konsequenz ist, dass dem Empfänger suggeriert wird: dieses Verhalten muss dich verletzen.


Sie Idiot! Wie es klingt, wenn wir so etwas nicht mehr persönlich nehmen

Und genau das meine ich mit mangelndem Übersetzungssystem. Wenn wir das System aber erweitern mit der Weisheit, dass Gesagtes etwas über den Sprecher und die Wirkung etwas über den Empfänger aussagt, dann passiert in Situationen, in denen es jemand nicht schafft, die Botschaft freundlich zu verpacken, Folgendes: Wir können den Kern der Aussage hören, trotz "unschöner" Verpackung und müssen NICHT verletzt sein. Wir treten aus der Schusslinie und richten unseren Fokus auf das, auf das der Pfeil wirklich abzielt. Dann wird in unserem Kopf aus einem:


„Sie Idiot! Können Sie nicht einparken? Jetzt muss ich mich hier sau umständlich in mein Auto quälen wegen ihrer dermaßen blöden Aktion!!“

„Sie haben ihr Auto eben sehr nah an meinem geparkt. Ich ärger mich, weil ich gern ganz einfach in mein Auto einsteigen möchte, ohne Sorge haben zu müssen, dass dabei etwas kaputt geht. Können Sie noch einmal zurücksetzen und umparken?“


Und unser Reaktionsspielraum wird dadurch wesentlich größer – in den aller meisten Fällen sogar der unseres Gegenübers auch.




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